In der Auftaktveranstaltung der „Dellbrücker Gespräche“ geht der bekannte Armutsforscher Prof. Christoph Butterwegge wegen der immer weiter auseinanderklaffenden sozialen Ungerechtigkeit mit den Regierungen hart ins Gericht.


Anlässlich der Auftaktveranstaltung zur Reihe "Dellbrücker Gespräche" sprach Prof. Christoph Butterwegge über "Armut und soziale Ungleichheit in einem reichen Land".  Nachdem Butterwegge nachgewiesen hatte, dass "relative Armut", insbesondere Kinderarmut und Altersarmut ein großes, stark zunehmendes Phänomen in Deutschland ist, warf er die Frage auf, warum zwar Armut ein Thema in der Öffentlichkeit ist, nicht aber der zunehmende, extreme Reichtum: So besitzt das oberste Promille (also Tausendstel!) der Vermögenden über 20 Prozent des gesamten Vermögens in Deutschland, das oberste Prozent über 35%! Reichtum und Armut gehören zusammen, wie schon Berthold Brecht sagte: "Reicher Mann und armer Mann / standen da und sah’n sich an. / Und der Arme sagte bleich: / Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich.“


Eindrucksvoll wies er nach, wie Lobbyorganisationen wie der Bund der Steuerzahler Nebelkerzen auswerfen, die die eigentlichen Ursachen der zunehmenden Ungleichheit verschleiern: der seit Helmut Kohls Zeiten deutlich gesunkene Spitzensteuersatz (von 53% auf 42%), die ausgesetzte Vermögenssteuer, die keiner anfasst, obwohl der Grund für die Aussetzung (ungleiche Behandlung verschiedener Vermögensarten) einfach zu regeln wäre, die niedrige Kapitalertragssteuer von 25%, die damit niedriger besteuert wird als viele Arbeit. Die Verschonung des Reichtums in der Erbschaftssteuer: Bekommt ein Erbe 3 Wohnungen vererbt, zahlt er Erbschaftssteuer. Bekommt ein Erbe aber 301 Wohnungen, gilt er als Wohnungsunternehmer und zahlt nichts!


Die Mehrwertsteuer wurde angehoben, was faktisch diejenigen, die sämtliche Einnahmen zum "Konsum" ausgeben müssen (also Essen, Trinken, etc.) trifft, während Reiche, die ja ebenfalls nur einmal Essen und Trinken können, bei anderen Geldanlagen verschont bleiben.
Ein interessanterAspekt war auch das Thema "Bildung": Hier vertritt und begründet Butterwegge die These, dass Bildung nicht unbedingt aus der Armut führt, sondern die Sache genau umgekehrt gesehen werden muss: Armut verhindert Bildung.  Alles trägt dazu bei, dass die soziale Schere immer weiter auseinandergeht. Es ist soziologisch nachgewiesen, dass diese zunehmende Ungleichheit für eine Vielzahl von gesellschaftlichen Problemen ursächlich ist.

Auch die "Agenda 2010" kam zur Sprache: Sie veränderte die Arbeitslosenhilfe, die immer noch auf der zugrunde liegenden Qualifikation des Beziehers aufbaute, in die bisher als "Hartz IV", heute als Bürgergeld bezeichnete Zahlung. Am Beispiel eines arbeitslosen Diplomingenieurs erläuterte er die 3-fache Demütigung:

  1. er wird gezwungen, jeden Job anzunehmen, auch weit unter seiner Qualifikation
  2.  er wird mit einem 1-Euro-Job abgespeist, erhält keine auf seiner Ursprungsqualifikation basierende Hilfe, sondern dieselbe wie ein gänzlich unqualifizierter, der nie gearbeitet hat und
  3.  seine soziale Umgebung sieht, wie er weit unter seiner Qualifikation arbeiten muss.

 

In der anschließenden Diskussion wurden aus dem Publikum viele Fragen gestellt. Die Rolle der Medien wurde kritisiert, die brennende Themen einseitig oder gar nicht thematisiert oder Ausnahmefälle dramatisiert und skandalisiert. Der relative Armutsbegriff wurde hinterfragt: Muss soziale Teilhabe heute wirklich so viel beinhalten? Früher gabs das doch auch nicht... Darauf erwiderte Christoph Butterwegge, dass es früher viele Sachen nicht gab, weder für Arm noch für Reich, und dass die Zeiten heute eben anders sind, und deshalb eine effektive soziale Teilhabe auch anders aussähe als früher. Die Teilnehmer brachten auch Beispiele für die Aussagen Butterwegges.

Eine gelungene Veranstaltung, von der man viel Stoff zum Nachdenken mitnehmen konnte.

 

  • 20240514_DG120240514_DG1Impressionen von den "Dellbrücker Gesprächen"
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  • 20240514_DG320240514_DG3Impressionen von den "Dellbrücker Gesprächen"
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